Matthias Schranner for «NZZ PRO Global», the premium product for global economic and geopolitical affairs of NZZ.

«Im deutschsprachigen Kulturraum ist man schnell beleidigt. Dabei könnte ich auch denken: Wow, ein guter Zug. Das kann ich noch besser»

Internationale Verhandlungen sind anspruchsvoll und komplex. Im Gespräch mit «NZZ PRO Global» erklärt der Verhandlungsexperte Matthias Schranner, worauf es ankommt, wenn in Asien schwierige Verhandlungen anstehen und welche Missverständnisse häufig sind.

Herr Schranner, Sie haben sich auf schwierige Verhandlungen spezialisiert. Was heisst das, und wann kommen Sie ins Spiel?

In der Regel werden wir von Kunden angefragt, wenn sie in ihren Verhandlungen das Gefühl haben, mit rationalen Argumenten nicht mehr weiterzukommen. Wir helfen ihnen dann, einen neuen Zugang zu finden.

Wieso schaffen das Ihre Kunden nicht selbst?
Häufig weisen Hausjuristen auf die Risiken für das Unternehmen hin. Das ist wichtig, doch ihr Einfluss geht oft sehr weit, und dann trauen sich die eigentlichen Entscheidungsträger vor lauter Risiken nicht mehr, selber zu entscheiden.

Sie sagen, man braucht Sie, wenn man mit rationalen Argumenten nicht mehr weiterkommt. Sollte man sich in Verhandlungen nicht rational einigen können?

Dafür bedarf es objektiver Kriterien. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir hatten einen Fall, wo ein amerikanischer Chemiekonzern mit einem südkoreanischen Partner verhandelte, und das südkoreanische Unternehmen verhandelte seinerseits mit dem japanischen Endkunden. Die Südkoreaner haben ihr aus den USA bezogenes Produkt marginal angepasst und auf das aus ihrer Sicht dadurch neu entstandene Produkt weltweit Patentrechte angemeldet. Die US-Firma wollte sich das natürlich nicht gefallen lassen. Für den japanischen Endkunden war derweil der Patentstreit zweitrangig, er wollte einfach sicher sein, dass er ohne Verzögerung und Probleme beliefert wird. Als Erstes stellt sich hier die Frage, welcher Gerichtsstand gilt. Da treffen ja drei unterschiedliche Rechtssysteme und Gerichtsstandorte aufeinander. Überlässt man das den Juristen, dauert es mindestens zwei bis drei Jahre, das kostet viel Geld, und das Produkt ist veraltet. Da kommen wir ins Spiel.

Was tun Sie dann?

Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen der formellen und der informellen Verhandlung. Alles Formelle ist sichtbar, also alles, was gesagt oder geschrieben wird, und es kann auch vor Gericht verwendet werden. Das Informelle läuft im Hintergrund ab. Gewisse Dinge muss man zuerst informell klären, bevor man sie formell anspricht. Im eben erwähnten Fall mussten wir dafür erst eine Beziehungsmatrix aufbauen, um zu verstehen, wer wen kennen und kontaktieren soll und welche Informationen wir von wem bekommen können. Die meisten Unternehmen haben kein systematisches Beziehungsmanagement.

Sehen Sie in solchen Verhandlungen systematische Unterschiede, wie sich amerikanische, europäische und asiatische Verhandlungspartner verhalten?

Sehr grosse sogar. Auf CEO-Level verstehen sich die Leute allerdings meist global und über die Kulturen hinweg gut. Diese Manager haben im Ausland studiert oder gelebt und denken global. Sie haben ein gemeinsames Verständnis von Verhandlungsführung und deren geschriebenen und ungeschriebenen Regeln. Die globale Verhandlungsführung ist dabei nicht rein rational, sondern hat auch ein spielerisches Element, eine gewisse Leichtigkeit. Im internationalen Kontext muss ich flexibel sein und nicht stur, wie es in unserem Kulturkreis oft der Fall ist. Viel schwieriger wird es auf den unteren Ebenen, da denken die Leute oft sehr lokal.

Was unterscheidet denn beispielsweise die amerikanische von der asiatischen Verhandlungsführung?

Die amerikanische Verhandlungsführung ist sehr konfrontativ. Die Amerikaner sehen eine Verhandlung sportlich, mit extrem hohen bis hin zu irrationalen Forderungen. Sie spielen auf Sieg, haben Lust am Konflikt und zeigen wenig Kooperation. Die Amerikaner sind sehr von ihrer eigenen Verhandlungsführung überzeugt, das wirkt bisweilen arrogant. Bei asiatischen Verhandlungspartnern gibt es in einer Verhandlung dagegen kein richtiges Ende. Da wird abseits des Verhandlungstisches immer weiterverhandelt. Es gibt immer noch jemanden, den man anrufen kann. Als gutes Ergebnis gilt es, wenn Vertrauen aufgebaut werden konnte.

Sie sagen, in Asien geht es in erster Linie ums Vertrauen. Hat die südkoreanische Firma in Ihrem eingangs erwähnten Beispiel nicht das Vertrauen des amerikanischen Unternehmens missbraucht?

Darüber lässt sich streiten. Die Südkoreaner würden sagen, sie hätten selbst geforscht und die Patentrechte registriert. Natürlich kann man jetzt vor Gericht gehen. Nur bringt es eben wenig.

Wie weiss ich als westliches Unternehmen denn, ob ich meinem asiatischen Verhandlungspartner vertrauen kann oder ob es bloss eine List im Sinne etwa der 36 Strategeme ist, über die der Schweizer Sinologe Harro von Senger immer wieder geschrieben hat?

Ich würde einfach einmal anfangen und der Person vertrauen. Gleichzeitig weiss ich, dass mein Gegenüber spielen will. Dieses Spielerische nennen wir hier listig, in Deutschland gar hinterlistig. Wir vermuten hinter jeder Taktik etwas Negatives und haben keine Lust zu spielen. In China darf man auch dann noch spielen, wenn man ein Vertrauensverhältnis hat. Das ist der wohl grösste Unterschied. In Europa kämpfen wir nicht mehr mit harten Bandagen und legen die Karten auf den Tisch, wenn wir eine gute Beziehung haben. Die gute Beziehung schliesst die eigentliche Verhandlungsführung also praktisch aus.

Heisst das, wir müssten uns auch mehr mit solchen, wie Sie sagen, spielerischen Strategemen und Taktiken vertraut machen?

Genau. Im deutschsprachigen Kulturraum ist man deswegen ja schnell beleidigt. Dabei könnte ich auch denken: «Wow, ein guter Zug. Das kann ich noch besser.» Doch das fehlt uns. Wenn ich wie viele CEO reise und Kulturen kennenlerne, bekomme ich ein Gefühl dafür, dass es oft gar nicht nur um den Preis geht.

Abgesehen von dieser spielerischen Art der Verhandlung, was sind die häufigsten Fehler, die westlichen Unternehmen im Umgang mit asiatischen Verhandlungspartnern unterlaufen?

Wir legen uns oft viel zu früh fest. Gerade in Deutschland haken wir erledigte Punkte gerne auf unserer Checkliste ab. In China führt so etwas schnell zum Gesichtsverlust. Wenn ein Chinese etwa erst sagt, er könne zehn Prozent nachgeben, gibt dann aber elf nach, verliert er sein Gesicht. Wir hier mögen rote Linien, doch das geht in Asien nicht. Die Verhandlung geht ja immer weiter. Ein anderer häufiger Fehler ist, dass wir in Verhandlungen meist negativ reden. Wir reden von einer noch bestehenden Lücke oder sagen, dass wir so nicht weiterkommen. Das ist verhandlungstechnisch grundfalsch. Man muss immer positiv bleiben und das Bemühen zeigen, eine Lösung finden zu wollen. Der grösste Fehler jedoch ist, dass wir die Verhandlung persönlich nehmen. Wenn wir eine Niederlage erleiden, sind wir enttäuscht, spielen nicht mehr weiter und rufen den Verhandlungspartner auch nicht mehr an.

Sollten wir es lockerer, spielerischer angehen?

Richtig. Das Problem ist ja die eigene Erwartungshaltung. Wenn ich in eine Verhandlung gehe und glaube, mein Wertesystem sei das einzig richtige, erwarte ich ja vom Verhandlungspartner, dass er das genauso sieht. Das ist eine totale Illusion. Gute Verhandlungsführer können sich vom eigenen Wertesystem lösen. Sie haben ein klares Ziel und eine klare Strategie und sind nicht ständig beleidigt, weil sie es eben auch spielerisch sehen.

Um in die Märkte Ostasiens gelangen zu können, mussten und müssten viele ausländische Unternehmen ein Joint Venture mit einem lokalen Partner gründen. Ist man bei Verhandlungen in solchen Geschäftsbeziehungen in China nun eher Partner oder Gegner?

Ich würde sagen Gegner. Die chinesische Seite hat ganz klar ihre eigenen Interessen, Ideen und ihren Stolz, oft auch zu Recht. Für mich ist eine Verhandlung ein Konflikt von zwei Gegnern, die versuchen, eine Lösung zu finden. Ein Joint Venture ist wie eine Ehe. Es gibt Leute, die denken, jetzt habe ich es geschafft. Die Probleme beginnen jedoch meist erst danach. Schon auf dem Rückflug von erfolgreichen Verhandlungen muss ich damit rechnen, dass eine erste neue Forderung kommt. Doch deswegen auf den riesigen Markt China zu verzichten, wäre sicher nicht zielführend. Was es dafür aber braucht, ist eine Person vor Ort, die die Sprache spricht und die Befindlichkeiten kennt. Diese Person sollte in China auch Mitglied der Kommunistischen Partei sein.

Apropos Kommunistische Partei: In China spielt die Politik auch im Wirtschaftsleben eine zentrale Rolle. Müssen westliche Unternehmen versuchen, sich mittels guter Beziehungen zur Politik zu schützen?

Meiner Erfahrung nach ist die Politik Pekings eine Blackbox. Auch ein gutes Beziehungsnetz hilft da meist nicht wirklich weiter. Das könnte sogar zu Problemen führen, etwa bei Fragen der Corporate Governance. Wir sehen das übrigens auch in manchen Staaten Osteuropas. Mehr politische Kooperation heisst da auch mehr Glatteis.

In einem kürzlichen Beitrag für «NZZ PRO Global» hat der frühere Schweizer Diplomat Hans Jakob Roth argumentiert, wir verstünden die Chinesen oft schlecht, weil wir versuchten, China durch unsere westlich gefärbte Brille zu erkennen. Die Chinesen dagegen versuchten das gar nicht und schauten sehr stark auf sich selbst. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, wir machen uns in Verhandlungen viel zu viele Gedanken über den anderen. Wir verhandeln ständig mit uns selbst und überlegen, was dem anderen wichtig sein könnte. Da nehme ich mein Wertesystem und überlege, was der andere brauchen könnte. Das ist Irrsinn, denn zum einen habe ich mit mir selbst verhandelt, zum anderen gehe ich davon aus, dass mein Wertesystem auch das Wertesystem des anderen ist.

Wie wollen Sie denn zum Erfolg kommen, wenn sich der andere nicht für meine Anliegen und Befindlichkeiten interessiert?

In der Verhandlung schon, aber nicht vorher. Natürlich muss man in der Verhandlung versuchen herauszufinden, was dem anderen wichtig ist. Wir tun das aber schon vorher und sind dann stolz auf unsere Vorbereitung. Dann steigen wir viel zu früh mit Angeboten ein. Wir mögen Angebote. Angebote macht man aber erst in der letzten Minute.

Die Schweiz als kleine Volkswirtschaft steht in ihren Verhandlungen mit Peking trotz den guten Beziehungen einem in vielen Belangen anscheinend übermächtigen China gegenüber. Ist das ein Nachteil?

Die Annahme, dass man kleiner ist, ist schon falsch. Die eigene Verhandlungsposition einzuschätzen, birgt immer die Gefahr, dass man sich über- oder unterschätzt. Man muss einfach verhandeln und dann während der Verhandlung merken, ob man gross oder klein ist. Es ist daher wichtig, dass man die Dinge für sich selbst nicht bewertet, denn ich weiss ja nicht, welchen Wert diese Patentrechte oder jener Marktzugang für die Gegenseite haben. Das muss die Verhandlung zeigen.

Verhandlungen leben von persönlichen Begegnungen. In der jetzigen Covid-19-Situation haben Unternehmen oft keine Möglichkeit gehabt zu reisen. Sie mussten auf digitale Kommunikationskanäle ausweichen. Wie wirkt sich das auf die Verhandlungen aus?

Unterschiedlich. Viele chinesische Unternehmen waren schon sehr stark digitalisiert, für die ist das also nicht unbedingt neu. Für Schweizer KMU jedoch war es ein Problem, denn viele waren digital noch nicht so weit. Wir merken auch, dass gerade Linkedin eine immer grössere Rolle in der informellen Verhandlung spielt. Die Plattform spielt dabei die virtuelle Rolle der Kaffeemaschine, wo man früher neben den harten Verhandlungen ein informelles Vieraugengespräch führen konnte. Linkedin wird auch genutzt, um Beziehungen aufzubauen. Es ist ein Netzwerk der Zukunft.

Kommen wir zurück zu Ihrem Fall. Wie ist es am Ende ausgegangen? Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Ich bin eigentlich nie zufrieden. Wir haben es zwar so gelöst, dass die Situation am Ende nicht blockiert blieb und der Konflikt für die Öffentlichkeit nicht sichtbar wurde. Das Ziel haben wir damit erreicht.

 

Quelle: “NZZ PRO Global”

https://www.nzz.ch/pro-global/asien/verhandlungen-in-asien-matthias-schranner-im-interview-ld.1640775?reduced=true

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